Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten
Regeln und Gesetze sind gut. Geben Halt und Sicherheit. Bewahren uns vor Schaden.
Manchmal ist es aber auch sinnvoll, nicht auf seinem Recht zu beharren. Wenn ich als Radfahrerin vor einen Laster fahre, weil ich Vorfahrt hatte, kann das schlecht für mich ausgehen. Aber auch in weniger krassen Beispielen ist Rücksicht oft besser als das Beharren auf seinem Recht.
Ähnlich verhält es sich mit der Freiheit. Freiheit ist einer der Grundpfeiler unserer Demokratie. Und wenn in Pandemiezeiten Gesetze von Gerichten gekippt werden, dann ist die Begründung in der Regel, dass diese Einschränkung der Freiheitsrechte nicht zulässig ist.
Freiheit da einzufordern, wo sie gefährdet ist, ist wesentlich für unsere Gesellschaft. Da müssen wir tatsächlich immer wachsam sein, und es ist gut, wenn hier nicht alles einfach gekippt werden kann. Auch wenn es manchmal schwer zu ertragen ist.
Da, wo die Einforderung von Recht bzw. die Einforderung von Freiheit zum Schaden aller wird, da ist die Lage nicht mehr ganz so eindeutig.
Derzeit spaltet beispielsweise die Impfpflicht die Nation. Darf man Menschen zur Impfung zwingen, auch wenn sie für sich selbst kaum ein Risiko sehen?
Ich würde mir wünschen, die Frage würde sich gar nicht stellen. Im 1. Brief an die Korinther schreibt Paulus im 10. Kapitel:
Wer auf dieser Basis agiert, lebt christliche Freiheit. Da gibt es nicht nur den Blick auf das eigene Risiko, da hat man auch den Blick für das Risiko der anderen. Da gibt es nicht nur die Angst um sich selbst und die Liebe zu sich selbst, zur christlichen Freiheit gehört immer auch die christliche Liebe.
Wenn wir aus Liebe und Verantwortungsbewusstsein handeln, dann muss uns kein Staat zwingen, das zu tun, was getan werden muss. Dann mag es Regeln und Gesetze geben, aber wir reizen sie nicht aus.
Nicht jeder hat diesen Gedanken der christlichen Freiheit verinnerlicht. Viele wollen ihn vielleicht auch lieber gar nicht kennen. Denn einfach ist das ja nun nicht. Sich zurückzunehmen, gefühlt immer der Dumme zu sein. Vielleicht fühlt man sich auch ausgenutzt, und vielleicht wird man auch wirklich ausgenutzt.
Und trotzdem: Vielleicht hilft der Gedanke daran, warum wir so handeln, wie wir handeln, besser mit unseren Gefühlen denen gegenüber umzugehen, die nicht so handeln. Denn mich macht es manchmal wütend, dass ich ständig zurückstecke, während andere lustig in der Welt umherfliegen oder scheinbar das Leben genießen. Und noch mehr macht mich wütend, dass für Kinder die Martinsumzüge abgesagt werden, während sich anderswo die Menschen betrunken in den Armen liegen. Es macht mich wütend und ohnmächtig. Diese Wut und diese Ohnmacht dürfen wir vor Gott bringen. Er ist bei uns. Er erinnert uns daran, dass wir dem Nächsten zuliebe auf diese Freiheiten verzichten. Weil wir es wollen, egal was andere tun. Weil es unsere Entscheidung ist. Weil wir damit etwas von Gottes Liebe weitergeben, die wir selbst (unverdient) empfangen haben. Sie auch an die weiterzugeben, die sie unserem Urteil nach gerade so gar nicht verdient haben, ist wohl die große Herausforderung unserer Zeit.
„Alles ist erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient.“
Birgit Schmidt
Ev. Johanneskirchengemeinde